Transalp 2014

Alpenüberquerung am Mountainbike vom Garmisch bis zum Gardasee



 

Die Alpen auf dem Moutainbike überqueren - ohne Begleitfahrzeug und mit vollem Gepäck. Dieses Ziel wurde 2014 nach gewissenhaft gefressenen Trainingskilometern und ausgeklügelter Vorbereitung am 9. August in Garmisch-Partenkirchen in Angriff genommen. Die klassische Passage von der Zugspitze über das Verwall/Samnaungebirge, die Dreiländerecke (AUT/CH/ITA) bis zum Gardasee ist jene, die durch den Radpionier Andreas Albrecht zur Standardroute für Transalper wurde. Unterstützt durch GPS-Material von eben jenem Albrecht und wertvollen Tipps des Lungötzers Peter Promberger (absolvierte die die Tour ein Jahr zuvor) stürzten wir uns trotz sehr durchwachsener Wetterprognose in das Abenteuer. Gröbere Verschiebungen der Tour waren keine adäquate Option. Die Quartiere waren größtenteils schon reserviert und auch die Unterkunft für uns und das Abholkommando am Gardasee gebucht. In der Retrospektive ist zu sagen, dass es in diesem Sommer 2014 ohnehin keine wirklich guten und stabilen Wetterverhältnisse gab. Die Entscheidung, die Aktion durchzuziehen, war somit auf alle Fälle richtig. In jeder Hinsicht.

 

Tag 1:
Garmisch-Partenkirchen - Ehrwald - Fern-Pass - Schloss Fernstein - Strad - Imst - Landeck (79 km, 849 hm)

 

Zum Start der Tour am Freitag war uns sogar strahlender Sonnenschein beschert. Nachdem wir die Route GPS-gestützt gefunden hatten, ging es in zügigem Tempo am Fuße der Zugspitze von Garmisch wieder über die  Grenze "heim" nach Österreich. Nach einer ersten Stärkung in Ehrwald waren mit dem Fernpass die ersten von vielen Höhenmetern in dieser Woche zu überwinden. Alles in allem aber ein sehr moderater Aufgalopp an der alten  Passstraße, während sich die Autofahrer in massigen Kolonnen auf der Bundesstraße durch dieses Nadelöhr zwängten. Gemäß den Wetterprognosen stand dann schon das erste Gewöhnen an die Regenausrüstung am Programm. Entlang der alten Römerstraße "Via Claudia Augusta" in Richtung Imst öffnete der Himmel das erste Mal seine Schleusen. Die erste Tagesetappe endete in einem recht zähen Kampf um Kilometer auf den Bundesstraßen im "Hotel Schwarzer Adler" in Landeck. Dort sollten wir uns auf die Königsetappe vorbereiten, die uns bereits am nächsten Tag erwartete.

 

Tag 2:
Landeck - St. Anton am Arlberg - Verwall-Tal - Heilbronner Hütte - Galtür - Ischgl - Fimber-Tal - Bodenalpe (78 km, 2240 hm)

 

Der zweite Tag dieser Transalp wurde schon im Vorfeld ob der Parameter als einer der herausforderndsten Abschnitte ausgemacht. Zum Glück war uns auf diesem Abschnitt der Wettergott hold und bescherte uns tolle Bike- und Trailkilometer zwischen Tirol und Vorarlberg. Zum Warmwerden standen circa 30 Bundesstraßenkilometer bis zum mondänen Skiort St. Anton auf der Agenda. Kurz nach dem Hotel der Österreichischen Skilegende Karl Schranz wechselten wir auf Schotter und arbeiteten uns in das Verwall-Tal vor.

 

Landschaftlich einer der schönsten Streckenabschnitte entlang klarer Gebirgsbäche. Die Bergriesen der Verwall-Gruppe immer im Blickfeld. Bis zur Konstanzer Hütte gestaltete sich das Terrain nicht besonders anspruchsvoll. Nachdem aber die Seehöhe von 2.000 Metern überschritten war, wollten Höhen- und Distanzmeter im Trailgelände immer härter erarbeitet werden. Sonnenschein und ein grandioses Bergpanorama ließ ausgiebige Trage- und Schiebepassagen auf den letzten 300 Höhenmetern bis zur Heilbronner Hütte aber etwas erträglicher werden. Kurz vor der Hütte überschritten wir auch die Grenze zum Bundesland Vorarlberg und erreichten mit 2.323 Höhenmetern den höchsten Punkt der Tagesetappe. Nach einer kurzen Einkehr in der stark frequentierten Heilbronner Hütte genossen wir eine schöne Abfahrt bis zum malerisch gelegenen Kops-Stausee, wo ein kurzer Gegenanstieg wartete.

 

Nachdem dieser abgespult war, ging es steil hinab nach Galtür. Der kleine Ort im Paznauntal erlange im Jahr 1999 traurige Berühmtheit, als ein tragisches Lawinenunglück 31 Tote forderte. Talauswärts ging es weiter Richtung Ischgl, gemeinhin als das Mallorca der Alpen bekannt. Kurz vor der Ortseinfahrt ging es rechts in den Anstieg zum Tagesziel. Der Bodenalpe auf gut 1.800 Höhenmeter. Die anfangs belächelten 400 Höhenmeter zum gleichnamigen Berggasthof entwickelten sich nochmals zu einem harten Stück Arbeit. Nach circa sieben Stunden im Sattel hieß es nochmal ordentlich auf die Zähne beißen, um die nötigen Watt auf die Pedale zu bringen. Schließlich tauchte unsere Unterkunft auf, in der man mit Bikern routiniert umzugehen wusste. Der Berggasthof Bodenalpe war auch weitestgehend mit Transalpern gefüllt.  Bei der Auswahl der Quartiere orientierten wir uns immer an den Empfehlungen des Transalp-Pionieres Andreas Albrecht. Damit sind wir immer sehr gut gelegen. Schnell waren die Räder verstaut und wir langten beim Abendessen ordentlich zu.

 

Unsere Tischnachbarn, zwei Herren aus dem Ruhrgebiet erstaunten uns mit deren Lässigkeit in Bezug auf die Tourenvorbereitung. Das Kartenmaterial wurde irgendwo vergessen, der Wetterbericht interessierte nur peripher. Eine sehr gewagte Einstellung bei einer Mehrtagestour im teils hochalpinen Gelände. Wir sollten die beiden wie viele andere Transalper in der Bodenalpe in dieser Woche nicht mehr treffen. Wir waren meteorologisch bestens informiert und sanken ob der anstehenden Aufgaben durchaus etwas nachdenklich in die Betten.

 

Tag 3:
Bodenalpe - Fimber-Pass - Vna - Sent - Scoul - S-charl - Pass da Costainas - Lü - St. Maria im Münstertal (68 km, 1.996 hm)

 

Der früh morgendliche Blick aus dem Fenster bestätigte leider die Wetterprognose. Dichte Regenwolken dominierten das Bild auf der Bodenalpe. Wir trachteten danach, möglichst schnell auf unsere Bikes zu kommen und arbeiteten uns noch auf Forstwegen im Regen in Richtung Heidelberger Hütte. Dort startete auch eine größere Gruppe gerade den Angriff auf den Fimber-Pass. Dieser ist mit 2.610 Metern einer der höchsten Punkte auf der Transalp. Wir ließen uns ob des Hundewetters nicht entmutigen und kämpften uns mit einer gehörigen Portion Abenteuergeist stetig bergwärts. Auf den letzten 300 Höhenmetern war an Biken nicht mehr  zu denken. Wir übten uns wieder in der Disziplin Tragen/Schieben auf schmalen Wandersteigen. Diese entwickelten sich mittlerweile zu kleinen Bächen, was für das Fortkommen mit unserem Vollgepäck nicht gerade förderlich war.

 

Nach absolvierten Gipfel-Selfie wechselten wir in hochgebirgskompatible und vor allem trockene Regenkleidung. Bestaunt von unseren Mitstreitern von der Heidelberger Hütte, die unsere professionelle Ausrüstung bewunderten. Die warfen mangels Alternativen nur ein leichtes Jäckchen über, was uns wiederum ob derartiger Leichtsinnigkeit im alpinen Gelände in Staunen versetzte. Die Jungs aus Deutschland stürzten sich dann wagemutig mit ihren Fullies in das Downhill-Vergnügen, welches mit unseren Hardtail-Rädern etwas weniger Genuss bereitete. Wir kämpften uns aber wacker die insgesamt 1.400 Meter talwärts. Wir hatten längst über die grüne Grenze Schweizer Boden betreten. Während der Abfahrt im Val Sinestra wurde der Regen derart intensiv, dass wir in einem Geräteschuppen eine circa halbstündige Rast einlegten und uns über unsere Kaltverpflegung hermachten.

 

Da wir aber vergeblich auf Wetterbesserung warteten, rumpelten wir vornehmlich auf Trails weiter bis in das Städtchen Scoul. Völlig verdreckt wurden in einem örtlichen Supermarkt die Verpflegungsbestände aufgefüllt. Es wartete ein Anstieg zum "Pass da Costainas". Sehr herausfordernd ob der 20 km langen Anfahrt auf der nochmals 1.000 Höhenmeter zu überwinden waren. Schier endlos ging es ab Scoul Serpentine um Serpentine erst auf Asphalt danach auf Schotter nach S-Charl. Ein malerisch gelegenes Dörfchen, die historischen Hütten sanft modernisiert. Viele Blicke hatten wir aufgrund der widrigen äußeren Umstände nicht.  Schon seit Stunden prasselte der Regen hernieder und ging an unsere Substanz. Mühsam wurden der Alp Astras die Höhenmeter abgerungen, bis schließlich der Pass de Costainas erreicht war.

 

Die Abfahrt führte uns über die Ortschaft Lü nach St. Maria im Münstertal. Ein idyllisches Örtchen, wo wir nach kurzem Suchen in der vorab disponierten Jugendherberge abstiegen. Wieder ein Insider-Tipp für Transalper, welcher auch für Schweizer Verhältnisse einigermaßen erschwinglich war.  Check-In und Empfang funktionierten schnell und mit Schweizer Gründlichkeit. Unter dem Motto "Erst das Material, dann der Mann" stand eine ausgiebige Säuberung der Ausrüstung am Programm. Beim anschließenden dreigängigen Abendmenü samt klassischen Gärgetränken auf gewohnt hohem Schweizer Preisniveau waren die Strapazen des Tages rasch vergessen. Als wir schon längst gemütlich in unserem Matratzenlager entspannten, kamen noch völlig durchweichte und erschöpfte Transalper an. Dies bestärkte uns weiter in der Taktik des möglichst frühen Losstartens am Morgen.

 

Tag 4:
St. Maria im Münstertal - Val Mora - Lago Cancano - Arnoga - Passo Verva - Eita - Grosio

(73 km, 1.503 hm)

 

Voller Tatendrang ging es an das kommende Tagwerk mit der interessanten Passage im Val Mora. Ein 40 Kilometer langes Hochtal, welches vornehmlich auf Trails zu durchqueren ist. Die Vorfreude wurde durch den Zustand unserer Klamotten jäh gedämpft. Im Trockenraum war durch viele Nasse Textilien eine so hohe Luftfeuchtigkeit entstanden, dass unsere Ausrüstung leider nicht trocken wurde. So gingen wir in feuchten Sachen die 900 Höhenmeter zum Döss Radond an. Der erste Pass des Tages mit 2.215 Metern Seehöhe. Nach kurzem Suchen der Route waren wir auf Kurs und bewältigten unter Beobachtung einiger Murmeltiere die erste Bergwertung des Tages. Nach der Abfahrt lag vor uns das besagte Val Mora. Ein verlassenes, langgezogenes Tal auf knapp 2.000 Metern Seehöhe. Trails, schmale Pfade, Schotterhalden - ein einmaliges Fahrerlebnis der besonderen Art.

 

Da wir bislang nur vom Wetter gebeutelt waren, durften natürlich Materialprobleme auch nicht fehlen :). Inmitten dieser Einöde ruinierte ich bei der Durchquerung einer Furt wegen eines Schaltfehlers meinen vorderen Kettenwerfer. Die denkbar ungünstigste Stelle. Zurückrollen zu einer Werkstatt war unmöglich, daher war Selbsthilfe gefragt. Zum Glück stellte sich der Defekt mechanisch nicht allzu kompliziert heraus. Eine improvisierte Reparatur gab mir wenigstens wieder einen halbwegs kurbelbaren Gang zurück, mit welchem ich mich durch die Hochebene quälte. Es ging aber unerwartet gut weiter, so spukte uns das Hochtal oberhalb von Bormio bei mittlerweile sonnigem Wetter wieder aus.

 

Auch landschaftlich hatte diese Sequenz sehr viel für uns zu bieten. Mittelalterliche Wehranlagen mit beeindruckendem Ausblick auf den bekannten Ski-Weltcuport am Fuße des Ortlermassives. Wir fuhren aber nicht ins Addatal ab, sondern blieben den Trails auf gut 1.900 Höhenmetern treu. Vor der letzten Prüfung des Tages wollten wir keine Höhenmeter mehr verschenken. 400 Höhenmeter zum Passo Verva trennten uns von einer 20 Kilometer langen Abfahrt zum Tagesziel. Nach einer kurzen Stärkung konnten wir meine Schaltung wieder ganz passabel in Gang bringen. Diese technische Errungenschaft war bei dem 20° Startanstieg bei mittlerweile veritabler Hitze eine äußerst willkommene Hilfe :). Später wurde der Anstieg etwas moderater, zog sich aber wieder ordentlich in die Länge. Der Lohn für die Anstrengungen war die endlos lange Abfahrt nach Grosio, vorbei an sehr urigen Siedlungen wie dem Bergdorf Eita. Nachdem sich unsere Bremsen auf den 1.600 Höhenmetern talwärts ordentlich verausgabt hatten, fanden wir auch recht zügig unsere Pension in Grosio.

 

Eine typische Italienische Mama empfing uns fürsorglich im Motel Dosdè. Man merkt, dass die Region touristisch stark auf Mountainbiker ausgerichtet ist. Sofort wurde uns mit dem Wintergarten ein sicherer Platz für die Räder gewiesen und man war ob unserer nicht besonders gepflegten Erscheinung nicht einmal ansatzweise irritiert :). Nachdem der kleine Balkon mit unseren Textilien komplett zum Trocknen zugehängt wurde, stürmten wir  nach ausgiebiger Körperpflege einen der städtischen Supermärkte. Auffüllen der Wegzehrung und diverse medizinische Produkte wollten neu erstanden werden. Nach etwas Suchen enterten wir ein recht gut situiertes Lokal zwecks Abendessen. Dort wechselten wir einige Worte mit Transalpern aus Tirol, mit denen die jeweiligen Pläne für den folgenden Tag erörtert wurden.

 

Wir dinierten recht nobel, wobei unsere etwas miefigen Klamotten in groben Kontrast zum gepflegten Ambiente des Restaurants standen. Dies irritierte uns aber weniger als die schnell aufziehenden Gewitterwolken, die den bisher sonnigen Himmel zügig verfinsterten. Dies beunruhigte uns ob der Tatsache, dass unsere Ausrüstung zum Trocknen am Hotelbalkon hing. Dies veranlasste mich, zwischen Suppe und Hauptgang eine nicht wirklich geplante zusätzliche Bewegungseinheit zum Hotel zu absolvieren. Auf den knappen Kilometer Jogging hätte ich nach einem Tag im Sattel gut verzichten können. Allerdings war die Aussicht auf neuerlich nasse Klamotten am Morgen nicht allzu berauschend. Eine wohlbedachte Entscheidung. Als ich wieder im Restaurant Sassella eintraf um mein Mahl fortzusetzen, hatte der Himmel wieder alle Schleusen geöffnet.

 

Beim abschließenden Analysebier in der Hotelbar beschlossen wir, erstmals von der Albrecht-Route abzuweichen. Nachdem schwere Gewitter für den nächsten Tag prognostiziert waren, wollten wir die Überschreitung des Gavia-Passes nicht riskieren.
Schweren Herzens, diese Passage gilt gemeinhin als Höhepunkt der klassischen Transalp. Hirn überstimmte aber Herz, 2.000 Höhenmeter Anstieg und die exponierte Lage (fast 2.700 m Seehöhe) wäre ein unverantwortliches Risiko gewesen. So fiel die Wahl auf den Mortirolo-Pass. Ein Giro-Klassiker vom Format der Glocknerstraße. Keineswegs eine Alternative zum Relaxen, aber eben kein Hochgebirgspass mit durchwegs befestigten Straßen

 

Tag 5: 
Grosio - Passo di Mortirolo (Foppa-Pass) - Edolo - Val d'Avio - Ponte di Legno - Pezzo

 

Nachdem das Motel Dosdè mit einem üppigen Frühstück zu überzeugen wusste, nahmen wir uns den Mortirolo-Pass ("Foppa-Pass") zur Brust. Serpentine um Serpentine rangen wir der Straße die Höhenmeter ab. Wie zäh dieses Unterfangen war, illustrierten die Kilometer- und Höhenmeterangaben zur Passhöhe, die sich nur quälend langsam reduzierten. Die erste gute Stunde des Tages konnten wir bei trockenen Bedingungen absolvieren. Der prognostizierte Starkregen ließ aber nicht lange auf sich warten. So strampelten wir einen großen Teil der 1.300 Höhenmeter wieder bei geöffneten Himmelsschleusen. Am späten Vormittag erreichten wir die durch viele Giro-Erinnerungen verzierte Passhöhe und gönnten uns einen Cappuccino und eine warme Suppe in einem urigen Restaurant. Die einheimischen und durchwegs zahnlosen Zecher der Kategorie "Alm-Öhi"  am Stammtisch hatten ihre Freude mit uns pudelnassen Gestalten. Spontan wurde vor der Abfahrt noch ein Foto zum Andenken geschossen.

 

Der Regen hatte sich zwischenzeitlich zu einem veritablen Gewittersturm gemausert, was die Abfahrt hinab ins Oglio-Tal zu einer durchaus technischen Herausforderung machte. Die 30 Kilometer zum Etappenziel nach Pezzo waren auf Bundesstraßen zu absolvieren. Die äußeren Bedingungen machten dieses Unterfangen aber neuerlich zu einem kleinen Abenteuer. Die Italiener nahmen aber, entgegen Ihres landläufigen Rufes, durchwegs Rücksicht auf uns Amphibienbiker. So näherten wir uns dem ersehnten Etappenziel, der legendären Transalper-Pension von "Youri". Einer kleinen Legende in Pedalistenkreisen. Pezzo liegt an der Abfahrt vom Gavia Pass. Da wir aber aus Improvisationsgründen aus der Gegenrichtung kamen, warte nochmals ein kurzer aber dennoch fordernder Schlußanstieg auf uns. Ziemlich groggy und völlig durchnässt war die Rampe zu diesem Bergdörfchen nochmals eine ordentlich Challenge. Schließlich landeten wir aber dann doch dank guter Beschilderung bei Youri und dessen Radlerpension. Seine Schwester wies uns sofort den Weg in die Garage, wo wir uns unserer nassen Textilien entledigten und diese sofort zur günstig angebotenen Generalreinigung übergaben. Nach Versorgung unserer Räder und körperlicher Kultivierung fand man auch schnell das Gespräch mit den letzten verbliebenen Bikern, die ebenfalls in der Gaststätte abgestiegen waren.

 

Auf der Albrecht-Transalp waren neben uns eigentlich nur noch zwei Bayern unterwegs, die den Husarenritt auf den Gavia-Pass wagten. Deren Erzählungen bestärkten unsere Entscheidung des Vortages, diese extrem exponierte Passage zu umfahren. Am Gavia auf ca. 2.700 herrschten Gewitterstürme und sintflutartiger Regen. Im Gegensatz zu den zwei Jungs aus Deutschland hatten wir keine Erfahrungswerte dort oben, daher hatten wir an diesem Tag am Gavia auch nichts zu suchen. Aber der Gavia-Pass ist nur aufgehoben und nicht ausgeschoben :). Gastgeber Youri hatte uns zwischenzeitlich in der Pizzeria des kleinen Ortes einen Tisch reserviert, nachdem er mit seinen Biker-Anekdoten für allgemeine Erheiterung sorge. Aus dem Italiener sprudelte in einer Mischung aus Englisch, Italienisch und Deutsch derartig vieles an wahren und wahrscheinlich erfundenen amüsanten Begebenheiten heraus, dass man die Strapazen des Tages schnell vergessen konnte. Ein wenig Kopfzerbrechen bereitete der unklare Wetterbericht für den Folgetag, stand doch mit der Montozzo-Scharte die nächste hochalpine Querung auf dem Programm. Aber für diese sollten wir ausnahmsweise mal auf die Sonnenseite fallen.

 

Tag 6:
Pezzo - Montozzo - Pejo - Fucine - Dimaro - Madonna di Campiglio (64 km, 2.100 hm)

 

In banger Erwartung zogen wir an jenem Morgen die Vorhänge zurück um einen Blick gen Himmel zu werfen. Erleichterung machte sich breit, für eine der Königsetappen hatten wir offensichtlich das Wetterglück auf unserer Seite. Für die Montozzo-Scharte (hochalpine 2.600 Meter hoch) ist zwecks gefahrloser Überquerung gutes Wetter die Voraussetzung. So startenden wir nach effektvoller Verabschiedung durch Youri Richtung Talkessel. Auf befestigten Straßen ging es gleich recht knackig zur Sache, sodass wir gleich wieder auf Betriebstemparatur waren. Im Talschluß hatte die örtliche Bergrettungsgruppe ein riesengroßes Festzelt aufgestellt, für welches wir aber nur kurz Augen hatten. Zu absurd steil erschien der Hang in Richtung der anzustrebenden Passage. Mir war nicht klar, wie hier ein mountaibiketauglicher Weg hochführen sollte.

 

Die 1.000 Höhenmeter waren aber schließlich bemerkenswert einfach technisch zu fahren, mit frischen Beinen wusste das grandiose Panorama mit unzähligen Dreitausendern noch mehr zu beeindrucken. Nachdem eine kleine Almhütte kurz vor dem höchsten Punkt tapfer passiert wurde, standen wir nach einer letzten Schiebepassage am höchsten Punkt unserer Transalp, der 2.613 Meter hohen Montozzo-Scharte.

 

Mit unseren Hardtails in der Abfahrt technisch stark benachteiligt, verloren wir schnell den Anschluss an einzelne Gruppen von Fully-Fahrern. Darunter auch an die gestern kennen gelernte Biker-Familie aus Germanien. Nach einigen hundert Höhenmetern Downhill gab es aber wieder eine unfreiwillige Zusammenkunft. Aufgrund der anhaltenden Regenfälle war ein kleines Bächlein zu einem reißenden Sturzbach geworden. Alternativlos mussten wir uns irgendwie eine Querung überlegen. Im Teamwork und mit Knüppeln und Asten gelang es, den Wildbach zu queren und die Fahrt zum Lago di Pian Palu fortzusetzen. Im Talboden ging es ausnahmsweise wieder einmal auf der Landstraße ca. 20 Kilometer in Richtung Dimaro, wo wir in Richtung Etappenziel Madonna di Campiglio abbogen.

 

Aus diversen Gesprächen mit anderen Transalpern wurden wir schon auf die mühsame Anfahrt zum Zielort vorbereitet. Laut Streckenprofil nicht allzu bedrohlich, waren diese letzten knapp 20 Kilometer eine sehr zähe Angelegenheit. In monotoner Umgebung und bei schwierigen Wegverhältnissen mussten wir uns Höhen- und Distanzmeter nun sehr schwer erarbeiten. Das es zwischenzeitlich wieder zu regnen begonnen hatte, passte in die nicht allzu erfreuliche Gesamtsituation. Auch die Beine wurden nach mehreren Stunden im Sattel langsam wieder schwer.

 

Kurz keimte Verständnis für den vorher erwähnten Familienvater, der gemütlich in Dimaro auf den Bus nach Madonna wartete, um sich offensichtlich nur die Rosinen aus dem Programm zu picken. Mit unserer Transalper-Ehre wäre dies aber nie zu vereinbaren gewesen .

 

Wenige Kilometer vor dem mondänen Skiort bot uns ein geschäftstüchtiger Hotelier Platz in seinem Bus samt MTB-Anhänger an. Natürlich mit dem Hintergedanken, ein Quartier (sicher nicht zum Schnäppchenpreis) an den Mann zu bringen. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Taktik bei diversen zermürbten Bikern des Öfteren aufgehen dürfte. Wir hatten allerdings schon eine Reservierung in einem Nachbarort von Madonna in der Tasche. Das Quartier wurde nach einigem Herumfragen schließlich auch gefunden. In einem nahegelegenen Restaurant wurde vor dem Finaltag nochmals herzhaft bei Hühnchen und Bier zugelangt. Beseelt durch das erlebte Abenteuer und ob der Wetterprognose war man für den nächsten Morgen sehr positiv gestimmt.

 

Tag 7:
Madonna di Campiglio - Val d'Agola - Passo Bregn de l'Ors - Val d'Algone - Stenico (862 hm, 40 km)

 

Das "Grande Finale" über den Bärenpass Richtung Gardasee wurde in froher Erwartung begonnen. Es wurden extra nochmals die maroden Bremsbacken erneuert und unsere Astralkörper vorsorglich fein mit Sonnencreme behandelt. Erstes war einfach nötig, zweites hätten wir uns sparen können. Obwohl der Wetterbericht etwas anderes verhieß, gab es am letzten Tag nochmals die volle Wetterbreitseite. Alsbald setzte Nieselregen ein und die Temperaturen waren im Vergleich zu den Vortagen auch deutlich gesunken. Zu allem Überfluss hatte Harry auch noch einen schleichenden Platten, der aber den Finaltag noch überstehen sollte.

 

So kurz vor dem Ziel ließen wir uns natürlich nicht entmutigen und kämpften und wacker in Richtung Bärenpass. Das imposante Panorama im Val d'Agola und des Adamello-Nationalparks zeigte sich nur gelegentlich schüchtern zwischen den Wolkenfetzen. Der herrlich gelegene Val d'Agola hat sich trotz ausbaufähiger Wetterkulisse trotzdem als sehr schöne Erinnerung festgesetzt.

 

Weniger schön war die Schinderei am folgenden Singletrail in Richtung Bärenpass. Die Wanderwege waren nicht wirklich befestigt, so artete der letzte Pass in eine veritable Schlammschlacht aus. Die Transalp wollte uns kurz vor Ende offensichtlich nochmals die Zähne zeigen. Wir bissen eben jene aber auch zusammen und erreichten völlig durchnässt und verdreckt den höchsten Punkt auf knapp 1.900 Seehöhe. Zur Abwechslung kratzten wir dort noch knapp an der Neuschneegrenze. Somit hatten wir fast jede Wettervariation in dieser Woche erlebt. Unter diesen Umständen versprach die Abfahrt über 1.200 Höhenmetern Richtung Stenico nicht wirklich Genuss. Kurz vor dieser Ortschaft war die Passage über die Alpen aber tatsächlich geschafft. Wie die begossenen Pudel flüchteten wir uns in das Rifugio Ghedina. Die Blicke der Wirtin zeugten von Mitleid und leichtem Grauen ob unserer katastrophalen Erscheinung. Sie päppelte uns aber prompt mit einer schönen Minestrone wieder auf.

 

Nachdem unsere Frauen bereits am Vortag die Quartiere in Malcesine bezogen hatten, ließen wir uns von Ihnen den aktuellen Wetterbericht vom Gardasee durchgeben. Da sich dieser dort gerade ähnlich mies gestaltete, war die Entscheidung schnell getroffen. Harry und ich verlegten uns auf die ausführliche Nachbesprechung bei Birra Moretti und verzichteten auf die letzten 25 Kilometer Bundesstraße-Rollen.  Die Alpenüberquerung war geschafft und wir hatten kaum mehr trockene Klamotten, daher wurden die Damen zum gemütlichen Gasthaus beordert.

 

Nach einer abenteuerlichen, strapaziösen aber sehr schönen Woche war die Wiedersehensfreude groß. Wir verluden unsere Bikes und ließen uns in Richtung Gardasee kutschieren. Eine Herausforderung für Material und Mensch im Innenraum ob des Hardcore-Tages im Regen. Kurz vor Riva klarte plötzlich auch das Wetter auf und der Gardasee empfing uns bei strahlendem Sonnenschein. Kurz kam Wehmut wegen der unvollendeten Etappe Wehmut auf. Aber sofort überwog der Stolz über das Geleistete und die Vorfreude auf ein gemütliches Wochenende.

 

Selbiges wurde dann ausgiebigst genossen. Bereits in diesen Tagen wuchs schon der Entschluss, die Transalp irgendwann noch einmal auf der Albrecht-Route in Angriff zu nehmen. Trotz oder wegen des problematischen Wetters wird aber diese Tour als absolutes Abenteuer und als persönlicher Triumph gegen die verschiedensten Widrigkeiten einen großen Platz in meinen Erinnerungen haben.

Verweise:
Die Website von Andreas Albrecht mit Tourenbeschreibungen zur Transalp: www.albrecht.info

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Kommentare: 1
  • #1

    Harry (Dienstag, 22 März 2016 15:36)

    Toller Bericht, freu mich schon auf 2017 dann aber mit Passo di Gavia